AHK Polen: Sie bezeichnen sich als Architekt, Prozessingenieur und Künstler. Was fühlen Sie sich in erster Linie?
Oskar Zięta: Diese Frage höre ich seit Jahren, und jedes Mal habe ich das Gefühl, dass die Antwort weiter evolviert. In der traditionellen Designwelt sind wir an klare Definitionen gewöhnt – ein Architekt ist ein Architekt, ein Ingenieur ist ein Ingenieur, ein Künstler ist ein Künstler. Ich habe jedoch von Anfang an nicht in diese Kategorien gepasst. Mir liegt vor allem das prozessorientierte Denken nahe: Gestaltung nicht als das Erschaffen eines Objekts, sondern als das Auslösen einer Abfolge von Ereignissen. Deshalb würde ich sagen, dass ich in erster Linie Prozessgestalter bin – und erst danach Architekt, Ingenieur und Künstler.
Die Architektur lehrt mich Verantwortung für Raum und Konstruktion; die Kunst ermöglicht freie Kreativität und das Überschreiten von Grenzen; die Ingenieurwissenschaften geben mir die Werkzeuge für die präzise Materialisierung einer Vision. All diese Welten sind in meiner Arbeit untrennbar verflochten. Ich kann nicht ausschließlich in Kategorien der Form denken, da ich sofort Material und Kräfte sehe. Ich kann aber auch nicht nur ingenieurhaft denken, weil sich sofort eine ästhetische Sensibilität einschleicht.
Wenn ich eine einzige Definition nennen müsste, würde ich sagen: Ich bin ein Ingenieur mit großer Sensibilität für Schönheit – oder ein sehr technologischer Künstler. Ich beobachte das Verhalten von Material unter Grenzbedingungen und suche darin nach einer neuen Designsprache. Alles, was ich tue, entsteht aus dieser Neugier.
AHK Polen: Ihre Arbeiten werden als „Möbel der Zukunft“ und „Skulpturen 4.0“ bezeichnet. Was bedeutet für Sie eine neue Designsprache?
OZ: Die neue Designsprache ist für mich ein Kommunikationskanal, der nicht aus formalen Traditionen entsteht, sondern aus Prozess und Parametrik. Es ist ein „Bottom-up“-Design, das nicht mit einer Skizze beginnt, sondern mit dem Verständnis physikalischer Gesetze, des Materialverhaltens und der technologischen Möglichkeiten. In diesem Sinne spreche ich von prozessbasiertem Design und von in das Material eingeschriebenen Informationen – einem Design, das zuerst definiert, wie etwas entsteht, und erst dann, wie es aussieht.
Die heutige Designwelt ist voller dekorativer, überflüssiger Objekte, die oft von realen Bedürfnissen und Möglichkeiten abgekoppelt sind. Meine Ambition hingegen ist es, Objekte zu schaffen, die aus einer Optimierung hervorgehen – strukturell, materiell, energetisch. Es ist eine Sprache, die aus Reduktion entsteht, aus der Idee „less is less“. Weniger bedeutet nicht mehr. Weniger bedeutet weniger – und genau darin liegt der Wert. Weniger Material, weniger Energie, weniger Umweltbelastung und weniger virtueller Raum.
Die neue Designsprache ist eine Sprache, in der das Material die Rolle des Schöpfers übernimmt. Wir schaffen lediglich die Bedingungen, und das Metall antwortet mit einer eigenen, bionischen Logik. Deshalb weisen unsere Objekte organische, unregelmäßige Randverformungen auf, die Ergebnis eines Dialogs zwischen Designer und Material sind – und keine starren Vorgaben. Wir nennen das den kontrollierten Verlust der Kontrolle.
AHK Polen: Sie haben die FiDU-Technologie entwickelt, deren Name vom deutschen „Freie Innendruck Umformung“ stammt. Eine Technologie, die aus einem Fehler entstanden ist. Worin bestand dieser Fehler und was war die ursprüngliche Annahme? Handelte es sich um ein Experiment?
OZ: Tatsächlich sage ich oft, dass FiDU aus einem „Fehler“ entstanden ist – man könnte sagen, aus einem Zufall, aber es war ein Zufall mit Bewusstsein für Potenzial. Während meiner Doktorarbeit an der ETH Zürich untersuchte ich die Stabilisierung dünnwandiger Metallmembranen. In der klassischen Ingenieurwelt gibt es den Begriff des Fehlers gemäß der Norm „DIN 8580“, der unerwünschte Verformungen bezeichnet. Für die meisten Konstrukteure ist das ein Alarmzeichen: etwas ist schiefgelaufen und muss verworfen werden.
Ich sah darin jedoch das Gegenteil: dass diese „fehlerhaften“ Verformungen eine verborgene Intelligenz des Materials enthalten, dass die Natur des Stahls uns leichtere und effizientere Lösungen vorschlägt als die traditionelle Ingenieurwissenschaft. Eine entscheidende Rolle bei der Entdeckung dieses Potenzials spielte Prof. Ludger Hovestadt – eine der wichtigsten Persönlichkeiten in meinem beruflichen Leben. Er erkannte in meinen Experimenten keinen Chaoszustand, sondern Potenzial. Er schenkte mir Vertrauen, Zeit und Raum, um den „Fehler“ nicht zu eliminieren, sondern zu erforschen.
So entstand eine Technologie, die entgegen der Logik der klassischen Ingenieurwissenschaft erlaubt, Metall zu „aufblasen“, zu stabilisieren und aus einer flachen Membran durch Innendruck eine dreidimensionale Form zu erzeugen. Es fühlte sich an wie die Entdeckung einer völlig neuen Physik des Designs – einer Welt, in der Verformung kein Defekt ist, sondern eine Sprache. Für uns ist es ein Alphabet – das Alphabet von FiDU.
AHK Polen: Beim Design des ULTRE 4 Cargo nutzten Sie Ihre Erfahrungen mit FiDU, was die Entwicklung eines ultraleichten und dennoch robusten Rahmens ermöglichte. Was war die größte Hürde bei der Übertragung dieser Technologie aus dem Bereich einzigartiger Möbel und Skulpturen (wie dem PLOPP-Hocker) auf die Anforderungen eines Straßenfahrzeugs?
OZ: Beim Design von Gebrauchsobjekten ist FiDU sehr dankbar – wir arbeiten mit einer künstlerischen Freiheit, bei der Einzigartigkeit und Unregelmäßigkeit Vorteile darstellen. Ein Straßenfahrzeug hingegen gehört zu einer völlig anderen Welt: Normen, Kontrolle, Wiederholbarkeit, Sicherheit, Homologation. Die Herausforderung war also enorm.
Die größte Hürde bestand darin, die intuitive, „atmende“ Technologie in eine parametergesteuerte Präzision der Transportingenieurwissenschaft zu überführen. Wir mussten die Philosophie der freien Verformung in eine Philosophie stabiler und sicherer Vorhersagbarkeit verwandeln – ohne dabei ihren größten Wert zu verlieren: die Ultral Leichtigkeit.
Eine interessante Herausforderung war auch die Kultur des Denkens. In der Automobilwelt herrscht das Prinzip des „Mehr“: mehr Material, mehr Verstärkungen, größere Sicherheitsmargen. Wir hingegen kamen mit einer Erzählung des ständigen Reduzierens. Wir mussten immer wieder beweisen, dass „weniger“ nicht „schwächer“, sondern „intelligenter“ bedeutet.
Die größte Befriedigung ist heute für mich die Erkenntnis, dass es uns mit dem Ultre 4 Cargo – und jetzt auch mit dem Ultre 3 Sharing – gelungen ist, FiDU tatsächlich in den Bereich der leichten urbanen Mobilität zu bringen, wo jedes Gramm und jeder Millimeter die Effizienz beeinflusst.
AHK Polen: Ihre Arbeit bewegt sich seit Jahren zwischen verschiedenen Designkulturen: der polnischen, deutschen und schweizerischen. Die FiDU-Technologie entstand in Zürich, entwickelt sich in Breslau weiter, und ihre Ergebnisse sind regelmäßig in deutschen und internationalen Institutionen und Ausstellungen zu sehen. Zuletzt auch in Großbritannien. Diese multilayer Präsenz ermöglicht es, Unterschiede im Innovations- und Technologiedenken zu beobachten. Gehen wir in dieselbe Richtung, oder erkennen Sie Entwicklungsunterschiede?
OZ: Jedes dieser Länder repräsentiert eine andere Art, über Innovation nachzudenken. Die Schweiz lehrt Präzision und den Mut zum Experiment, untermauert durch harte Methodologie. Deutschland lehrt Verantwortung, Standardisierung und systemisches Denken. Polen lehrt Unkonventionalität, Improvisation und kreatives Problemlösen.
Bewegen wir uns in dieselbe Richtung? Die Richtungen sind unterschiedlich – und genau das ist der Wert. Innovation entsteht nicht in einer Monokultur. Sie entsteht im Dialog.
Ich sehe Entwicklungsunterschiede, insbesondere im Niveau der Forschungsfinanzierung, in der Prototypenkultur und im Umgang mit Risiko. Gleichzeitig sehe ich großes Synergiepotenzial – besonders jetzt, wo die Welt leichte, energieeffiziente Lösungen und parametrisches Denken braucht.
AHK Polen: Welche Kooperationsfelder zwischen Polen und Deutschland sehen Sie, in denen gemeinsam Innovation entstehen kann?
OZ: Ich sehe mehrere Bereiche, in denen Polen und Deutschland auf natürliche Weise Innovation schaffen können, da sich unsere Kompetenzen ergänzen, statt miteinander zu konkurrieren. Im Bereich ultraleichter Technologien – zentral für neue Produktionsmodelle und Mobilität – kann die Kombination aus deutscher Ingenieurpräzision und polnischer Kreativität sowie Handlungsschnelligkeit zu Konstruktionen mit radikal reduziertem Materialeinsatz führen.
Angesichts der Transformation des urbanen Verkehrs arbeiten beide Länder an ähnlichen Herausforderungen, und die leichten FiDU-Strukturen passen perfekt in diese Entwicklungen, als Alternative zum schweren, überdimensionierten Denkmodell traditioneller Fahrzeuge. Ebenso wichtig ist der Bereich Recycling und Monomaterialität: Polen und Deutschland verfügen über starke metallurgische Grundlagen, die zu einem Vorzeigemodell der Kreislaufwirtschaft werden können – basierend auf Metall im geschlossenen Kreislauf.
Schließlich gibt es einen besonders inspirierenden Dialog an der Schnittstelle von Kunst und Technologie: von Skulpturen im öffentlichen Raum bis zu fortgeschrittenen urbanen Installationen – ich bin ein großer Befürworter des Prinzips „Kunst am Bau“. Gerade im kreativen Sektor ist die polnisch-deutsche Zusammenarbeit besonders lebendig, denn beide Kulturen verstehen die Bedeutung von Ästhetik und Innovation für die Gestaltung moderner Räume.
Polen bringt Mut, Unorthodoxie und Tempo ein; Deutschland – Systematik, Skalierbarkeit und Prozessstabilität. Gemeinsam entsteht eine Kombination, die es ermöglicht, Lösungen zu entwickeln, die nicht nur innovativ, sondern auch robust, umsetzbar und tief in europäischen Werten verankert sind.
AHK Polen: Wo sehen Sie sich selbst in 10–15 Jahren?
OZ: Im Weltraum ;)
Ich sehe mich dort, wo das Material noch etwas Neues zu sagen hat. Ich möchte FiDU parallel in den Bereichen neuer Mobilität und architektonischer Skalen weiterentwickeln – in Richtung ultraleichter urbaner Konstruktionen, modularer Systeme und vielleicht sogar Weltraumstrukturen, denn Metall verhält sich unter veränderter Gravitation völlig anders.
Ich denke, dass in zehn bis fünfzehn Jahren durchaus ein „Institut für Ultral Leichtbau“ existieren könnte – ein Ort, an dem Ingenieure, Künstler, Biologen, Architekten und Programmierer sich nicht um Disziplinen, sondern um Prozesse versammeln. Ein Ort, an dem man nicht Objekte gestaltet, sondern Zukunft.
Ich wünsche mir außerdem, dass Ultre zu einer Plattform realer Veränderung in der urbanen Mobilität wird – ein Beweis dafür, dass man klüger, leichter, sparsamer und schöner gestalten kann. Und persönlich? Ich möchte weiterhin ein Schüler des Materials bleiben. Weiterhin beobachten, experimentieren, Fragen stellen. Und neugierig bleiben.